"Unabhängige Medien sind Immunabwehr einer gesunden Demokratie"
DZV.NRW-Jahrestagung 2023 im Kreis Unna / stv. Ministerpräsidentin Neubaur spricht zur Branche
Die nordrhein-westfälischen Digitalpublisher und Zeitungsverleger haben auf ihrer Jahrestagung am 7. September im Haus Opherdicke u.a. Schutzmaßnahmen für Medien gegenüber den großen KI-Gatekeepern, eine rasche Umsetzung der Infrastrukturförderung für die Zeitungszustellung und die Absenkung der Mehrwertsteuer auf Angebote der Presse gefordert. Stv. Ministerpräsidentin und NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur sagte: "Zeitungen sind Demokratieprotektoren und Vertrauensanker für Menschen in einer immer undurchschaubareren Welt."
von links: Dirk Holterdorf (stv. DZV.NRW-Vorsitzender), Lambert Lensing-Wolff (stv. DZV.NRW-Vorsitzender), NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur, Gastgeber und Vorstandsmitglied Hans-Christian Haarmann, Christian DuMont Schütte (DZV.NRW-Vorsitzender), Fotos: Udo Hennes (Hellweger Anzeiger).
NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur hat auf der Jahrestagung des Digitalpublisher und Zeitungsverleger Verbandes NRW die besondere Bedeutung der Tageszeitung für die demokratische Gesellschaft betont. Vor rund 40 Branchenvertreterinnen und -vertretern sagte Neubaur: „Zeitungen bieten in einer Welt, die für Bürgerinnen und Bürger immer undurchschaubarer wird, Orientierung“. Mit ihren gut ausgebildeten Journalisten, die aus den Lebensnahbereich der Menschen berichten, „sind Zeitungen ein Vertrauensanker“. Sie förderten, so die Ministerin, den öffentlichen Diskurs und verhindern Echokammern. „Zeitungen sind Demokratieprotektoren“.
"Wir müssen diejenigen schützen, die die Ursprungsinhalte geschaffen haben"
Mit Blick auf die Herausforderungen der Zeitungen bei der digitalen Transformation sicherte die Ministerin den Verlagen die Unterstützung der Landesregierung zu. Sie sprach sich für eine kluge Regulierung von Angeboten Künstlicher Intelligenz auf den großen digitalen Gatekeeperplattformen und insbesondere eine Reform des Urheberrechts aus: „Wir müssen diejenigen schützen, die die Ursprungsinhalte geschaffen haben.“
Appell an Bundesregierung: Zustellförderung jetzt umsetzen
Die NRW-Wirtschaftsministerin erklärte zudem, dass die Bundesregierung die im Koalitionsvertrag angelegte Förderung der Zeitungszustellung jetzt umsetzen müsse. Das sei zugesagt. Und die Landesregierung werde eine Förderung der Zeitungszustellung auf Bundesebene weiter unterstützen. Sie betrachtet mit Sorge, dass ganze Landstriche aus Kostengründen von der Versorgung mit gedruckten Informationen abgeschnitten werden könnten, obwohl dort ein Bedarf nach Gedrucktem besteht. Das öffnet Räume für radikale und extremistische Publikationen.
Mit Blick auf die Pläne des Bundesernährungsministerium, Lebensmittelwerbung zu beschränken, zeigte die Verständnis für die Sorgen der Verlage, dass ein solches Werbeverbot lokalen und regionalen Medien wie Zeitungen erheblichen Schaden zufügen könnte. Sie sprach sich vor diesem Hintergrund dafür aus, die Pläne und die Ausgestaltung eines Gesetzentwurfes differenziert zu überprüfen.
DuMont Schütte: Tageszeitungen digitaler Transformation auf gutem Weg
Der Vorsitzende des Verbandes, Christian DuMont Schütte, hob die Leistungen der Tageszeitungsverlage in NRW bei der digitalen Transformation hervor: „Mit der Kraft unserer Marken entwickeln unsere Redaktionen und Verlage die Zeitung von morgen weiter und arbeiten an technisch und publizistisch innovativen digitalen journalistischen Produkten. Das alles mit dem Ziel, möglichst nah an den Bedürfnissen unserer Leserinnen und Leser zu sein“.
Die Anstrengungen der letzten Jahre tragen Früchte. Die digitalen Erlöse der Verlage sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen, allein im vergangenen Jahr bundesweit um mehr als 20 Prozent (BDZV-Branchenbericht für Jahr 2022). Die bezahlte ePaper-Auflage ist in NRW in den vergangenen fünf Jahren um 60 Prozent auf aktuell 480.000 Stück angewachsen.
DuMont Schütte betonte die Bedeutung der Zukunft der Zeitung für die demokratische Gesellschaft: „Unabhängige journalistische Medien sind die Immunabwehr einer gesunden Demokratie: Ohne diese wäre eine freie, rechtsstaatliche Gesellschaft in Gefahr und der Nährboden geschaffen für Intoleranz, Korruption, Menschenrechtsverletzungen, Totalitarismus und im schlimmsten Fall auch für Kriege – ein Blick nach Russland zeigt dies auf erschreckende Weise“, so der Verbandsvorsitzende.
Es ist in erster Linie Aufgabe der Verlage, so DuMont Schütte weiter, durch unternehmerisches Handeln unabhängigem, privatwirtschaftlich finanziertem Journalismus eine Zukunft zu geben. Allerdings stoßen Verlage dabei an Grenzen, sagte DuMont Schütte mit Blick auf die Dominanz der großen digitalen Gatekeeper sowie mit Blick auf staatlich veranlasste Kostensteigerungen und den ungleichen Wettbewerb zu den Textangeboten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Hier sei Politik gefordert zu unterstützen und Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Transformation der Tageszeitungen zu setzen.
Sorge vor Dominanz großer digitaler Gatekeeper
DuMont Schütte zeigte sich besorgt, dass die Dominanz der großen digitalen Gatekeeper gegenüber journalistischen Medien mit der Weiterentwicklung von Künstlicher Intelligenz in naher Zukunft nochmals deutlich zunehmen werde. Plattformen wie Google oder Microsoft verfügen über komplexe KI-Modelle sowie die Inhalte des Netzes. Diese Kombination schaffe eine beispielslose Markt- und Meinungsmacht und eine Gefahr für die Finanzierung unabhängiger Medien. Die großen KI-Plattformen nutzen die Inhalte der Verlage, ohne dass sie dies effektiv verhindern könnten und schneiden sie obendrein von der Vermarktung dieser Inhalte ab. DuMont Schütte forderte den nationalen und europäischen Gesetzgeber auf, „besser gestern als heute“ robuste Schutzrechte für journalistische und verlegerische Inhalte und effektiven wettbewerbsrechtlichen Schutz gegen die digitalen Gatekeeper und KI-Plattformen zu schaffen: „Bei allen Chancen, die uns Künstliche Intelligenz bietet, braucht Europa für die digitalen Gatekeeper dringend belastbare Spielregeln, um die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen.“
Förderung Zeitungszustellung schnellstmöglich umsetzen / Mehrwertsteuer auf Angebote der Presse absenken
Weiter appellierte der DZV.NRW-Vorsitzende an die Bundesregierung, die zugesagte Infrastrukturförderung zum Erhalt der Zeitungszustellung schnellstmöglich umzusetzen. Damit erhoffen sich Verlage Entlastung bei drastisch gestiegenen Kosten, die größtenteils staatlich veranlasst sind. „Die Infrastrukturförderung ist auch Transformationsförderung, da sie wirtschaftliche Freiräume für die Entwicklung unseres digitalen Geschäfts schafft und zugleich die lokale Informationsversorgung sichert“, betonte DuMont Schütte.
Als weiteren möglichen Ansatz zur Entlastung der Verlage nannte DuMont Schütte die Absenkung der Mehrwertsteuer auf journalistische Angebote der Presse. Beispielgebend sind hier Länder wie Belgien, Dänemark, Irland oder Großbritannien, in denen Null-Steuersätze für Presse gelten: „Es ist nicht nachvollziehbar, warum der Staat Steuern auf Angebote der Presse erhebt, der Rundfunkbeitrag aber umsatzsteuerfrei ist“, erklärte DuMont Schütte.
Kritik an geplantes Lebensmittelwerbeverbot
DuMont Schütte kritisierte die Pläne des Bundesernährungsministeriums, Lebensmittelwerbung erheblich einzuschränken. Das geplante Verbot würde für die Finanzierung von Medien wie der Tageszeitung maximalen Schaden anrichten und sei nicht geeignet, das eigentlich unterstützenswerte Ziel, den Gesundheitsschutz von Kindern zu erreichen. Allein die Tageszeitungen befürchten, wenn das Werbeverbot käme, einen jährlichen Werbenettoumsatzverlust von 200 Mio. Euro. Zudem würden die Pläne eines nationalen Werbeverbots die deutschen Medien gegenüber den großen internationalen Plattformen benachteiligen, die hiervon nicht erfasst wären, aber maßgeblich von Kindern und Jugendlichen genutzt werden.
Mit Blick auf ausufernde digitale Textangebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sagte Christian DuMont Schütte, dass die Bundesländer im aktuell laufenden Reformprozess gefordert sind, das Presseähnlichkeitsverbot nachzuschärfen, um faire Wettbewerbsbedingungen zu den unternehmerisch finanzierten Angeboten der Presse zu schaffen.
Die Jahrestagung hat sich im weiteren Verlauf mit den Chancen und Risiken Künstlicher Intelligenz für Medien und Gesellschaft befasst. Keynote-Speaker war Richard Gutjahr, Journalist und Digitalexperte. Am Abend wird NRW-Medienminister Nathanael Liminski die Jahrestagung besuchen und zu den Teilnehmern sprechen.